Mittwoch, 25. Januar 2017

Ich bin ein fliegender Goldfisch

Ich lebe noch!
Seit dem letzten Post ist ja einiges an Zeit vergangen, und ihr habt euch vielleicht gefragt, wieso. Aber ich habe in den letzten zwei Wochen einfach etwas Zeit für mich gebraucht, zum Nachdenken und so. Und jetzt bin ich fertig damit und kann auch wieder schreiben.
Genau genommen drehte sich die ganze Nachdenkerei um die Frage, ob ich hier in lotuyo das Volontariat wie geplant bis Ende Februar zu Ende führe, oder aber schon jetzt, Ende Januar fahre. Wieso das ganze? Naja, wenn ihr meinen Blog regelmäßig verfolgt habt, werdet ihr ja schon gemerkt haben, dass das alles hier nicht so "sie jelau fromm sie äg" war, wie der Berliner so schön sagt und ich mich ja gedanklich immer wieder daran geklammert habe, dass es besser wird, wenn Silke wieder da ist. Und mit verbessern werden meine ich konkret die Tatsache, dass ich hier ja die ersten 4 Wochen quasi nur rumgesessen habe, mit Ausnahme meiner Zeit in Bocas. In dem Zeitraum hatte sich einfach auch schon etwas Frust aufgestaut; stellt euch vor, ihr kommt hierher, super motiviert, habt Bock auf ein cooles Projekt, aufs Arbeiten - und klatscht dann erstmal voll gegen die Wand. Nichts mit arbeiten, nichts mit Projekten planen, einfach nur in der Hitze rumsitzen und warten, dass was passiert. Und aus Langerweile endet man fast immer vorm Bildschirm, einfach weil die 10. Muschelkette eben auch nur die 10. Muschelkette ist und immerzu Spanisch lernen eben auch keinen Spaß macht. Versteht ihr so ein bisschen was ich meine? Dazu der fehlende Kontakt zu Menschen. Klar, ich lebe in einer Familie, klar, ich war auch mal mit Freunden weg und das war toll, aber insgesamt habe ich mich doch häufig einfach einsam gefühlt.
Und als Silke dann endlich da war habe ich mich, hungrig nach Kontakt, erstmal da reingeworfen - und kam mir zunächst fast noch einsamer vor. Arbeiten von 08:00 bis 12:00, wissend das die danach als Familie noch schöne Sachen zusammen machen und ich nur wieder zu Hause ende. So hatte ich mir meine Zeit hier nicht vorgestellt. Also Skype-Gespräche mit meiner Zentrale zu Hause und so kristallisierte sich immer mehr die Idee raus, einfach zu fahren; eine Option, die ich anfangs eher abgewiesen habe. Fahren? Ich doch nicht. Ich bin doch Charlie, zuverlässig, gewissenhaft, ich habe hier zugesagt, dann haue ich doch nicht ab. Wie sollen die ihr Projekt denn ohne mich weiter führen?!
Naja, aber ist der Samen erstmal gesetzt dann wächst und wächst er und in diesem Fall brauchte er nur 24h. Dachte ich...
Ja ok ich fahre, gute Idee eigentlich. Aber ich ziehe noch den Monat durch, das wäre nur fair und vielleicht wird es ja doch noch besser? 1 Tag später, Whatsapp schreibend mit Leuten, Charlotte, 4 Wochen sind ja auch nicht lang, und am Anfang ist es immer schwierig. Mhhm, stimmt auch, also doch bleiben? 2 Tage später, mit geschlossenen Augen in der Brandung am Strand liegend, ja, ich fahre, das ist das was ich will, frei sein, und mit geschlossenen Augen am Strand liegen, immer wenn ich Bock drauf habe. Ich fahre! Am darauf folgenden Abend, Kuhhandel spielend mit Silkes Familie und ihren Freunden, naja, eigentlich ist das ja so ganz schön. Aber wollte ich nicht eigtl fahren? Will ich fahren? Wenn ich fahre, kann es auch passieren, dass ich einsam ende. In Bocas war es auch nicht sooo dolle, so viel Koks, so viele Party-Touris, hier muss ich mich um nichts kümmern, gehe arbeiten, esse, schlafe. Eigentlich kann ich mich ja nicht beklagen oder? Mensch Charlotte, biste jetzt zum Essen und schlafen nach Panama gekommen? Und überhaupt, so viel wie du hier in deiner Freizeit vorm Laptop hängst hättste auch gleich zu hause bleiben können. Reisen macht Spaß! Reisen ist teuer! Hier bin ich nicht glücklich, nur zufrieden gestellt! Wer sagt, dass das besser wird wenn du reist? Immerhin, hier hast du nen geregelten Alltag, musst dich um nichts kümmern, zu viel Action ist auch nicht immer schön und überhaupt, einsam bist du jetzt ja nicht mehr, also deine akute Krise ist ja jetzt wirklich vorbei. Aber eigentlich wollte ich doch die Zeit meines Lebens haben, nicht 'durchhalten' sondern leben...
Und so ging das die letzten 2 Wochen in meinem Kopf. Kein Wunder, dass das kein Platz für anderes war. Deswegen entschuldige ich mich hier nochmal in aller Form, insbesondere bei Mama und Oma, für alle Mails die ich erstmal beiseite gelegt habe und auch dafür, dass ihr hier nichts mehr von mir gehört habt.
Ja, ihr merkts vielleicht schon, ich bin grotten grotten schlecht im Entscheidungen treffen. Da werden Berge von Gedanken hin und her gewälzt, als würde es hier um das Wohl einer gesamten Nation gehen. Dabei sinds nur 4 mickrige kleine Wochen. Und wenns darum geht Entscheidungen alleine zu treffen ist es noch schlimmer. Für gewöhnlich muss ich erstmal die Meinung der gesamten Welt, aber wenigstens die meiner vier wichtigsten Entscheidungshelfer, Olli, Papa, Mäggie und Paula, hören, bevor ich mich überhaupt zu etwas bewegen kann. Frau Doktor, wir müssen uns beeilen, der Patient verblutet, wollen wir zuerst den Arm oder das Bein amputieren? Hmmm, ja gleich, aber ich überlege noch, welcher Nagellack heute besser zu meinem Lippenstift passt, Rostrot oder Dunkelrostrot, was meinen Sie? Ach warten Sie, ich ruf am besten nochmal kurz meine Schwester an, die weiß sowas immer am besten. Und wegen dem Arm/Bein Problemchen kann ich sie dann auch noch schnell fragen, und der Patient läuft ja nicht weg hahaha. Verstehen se? Wegen dem Bein und laufen und so ne hahaha, das muss ich ihr direkt erzählen, die lacht sich tot hahaha
Jaaaa... womit wir schon beim zweiten Problemchen wären, ich neige dazu, meinen kleinen Entscheidungen immer eine sehr sehr große Bedeutung beizumessen. Die Frage ist nämlich eigentlich garnicht, ob ich hier noch 4 weitere Wochen bleibe oder ob ich fahre, die Frage ist, ob ich jemals ein selbstständiger, lebensfähiger Mensch sein kann, wenn ich es nichtmal schaffe für 4 weitere Wochen auf nem Biohof Obst zu schneiden. Auf der anderen Seite könnte das Reisen meine Risikobereitschaft trainieren, so dass ich auch mal gedanklich etwas flexibler werden würde. Ich möchte bloß nicht son Prinzipien-Guru werden.
Und bei dem ganzen Gedenke verliere ich zwei Sachen völlig aus den Augen; dass ich a) schon selbstständig bin und b), dass ich auch einfach mal Spaß haben darf. Ohne wenn und aber.
Ich habe die letzten Jahre viel geleistet, ich weiß von mir, dass ich viel leisten kann, jetzt ist mal Pause angesagt, hab ich mir doch verdient, ich werde doch noch genug zu tun haben. Aber einfach mal den Kopf auszuschalten, das fällt mir wahnsinnig schwer. Nicht nur schwer, ich kann es einfach nicht. Vielleicht sollte ich ja doch nochmal bissl Koks in Bocas besorgen?
Jedenfalls hats hier halt so in meinem Kopf hin und her rumort und ich war dadurch so blockiert, dass ich nichts von den schönen Momenten erzählen konnte, die ich hier hatte. Zum Strand reiten, Pizza essen, Kuhhandel spielen, in einer Cabana am Strand schlafen und Feuer machen, Luc ne Ukulele abkaufen, auseinander bauen, bunt anmalen, mit Nagellack (mangels anderem Lack) lackieren, wieder zusammen setzen, am Strand joggen, ein gutes Buch lesen, im Fluss baden, im Meer baden...
Und vielleicht mache ich auch einfach nochmal einen Post, nur mit Fotos.
Aber da muss ich mich dann mal ein bisschen sputen, ich fahre nämlich nächsten Montag. Jepp, das ist das Ergebnis des Brütens, ich hau ab. Ich habe mich Silke gegenüber wahnsinnig schlecht gefühlt und ich tue es immernoch ein bisschen, aber komm, so ist es jetzt halt, das hier soll meine Zeit sein, und ich weiß ja, dass ich eigentlich zu den Menschen gehöre, die sich an Absprachen halten. Und ein bisschen enttäuscht bin ich auch von mir, dass ich nicht 'durchgehalten' aber, aber abgesehen davon bin ich eigentlich sehr zufrieden mit meiner Entscheidung (und wie gesagt, es geht ja diesmal nicht unbedingt ums durchhalten, es ist ja so gesehen Freizeit). Und ich habe sie auch alleine getroffen, auch wenn es mir schwer fiel und ich mit einigen Menschen gesprochen habe. Letztenendes bin aber ich die, die hier ist, das ist mein Leben und meine Erfahrungen und ich weiß eigentlich am besten, was gut für mich ist, auch wenn ich es manchmal eben dann doch nicht so weiß.


Aber mein toller Lieblings-Babschie hat mir dieses Bild hier geschickt, und damit war die Entscheidung dann gefallen, ich habe mit Silke gesprochen (hatte sie vor 2 Tagen schonmal etwas drauf vorbereitet, dass das nicht ganz so überraschen kommt) und jetzt fühle ich mich nicht euphorisch oder erleichtern oder so (naja, erleichtert vielleicht schon ein ganz kleines bisschen), aber ich freue mich auf die kommende Zeit und ein kleines aber feines Detail hat sich verändert; ich bin nicht mehr so gelähmt, sondern einfach wieder mehr wie ich: voller Tatendrang und fröhlich und motiviert eben. Nicht mehr so labberig. Ich bin jetzt halt ein fliegender Goldfisch.
Und der will jetzt noch Mails beantworten, also ist dieser Post jetzt erstmal zu Ende.
<3 Charlie

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